»Es war die beste Möglichkeit, den Autor kennenzulernen«

Die Stadt Rerik ist den Lesern der Jahrestage nicht unbekannt: Martha und Peter Niebuhr verbringen dort 1943 ihren Urlaub. Siebzig Jahre später reisten nun 22 Lehramtskandidaten der Universität Rostock samt Dozenten dienstlich an den Ferienort. Im Rahmen des Seminars »Johnson in der Schule« lasen sie vom 4. bis 6. Mai gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klasse der Freien Schule Rerik kurze Prosa von Uwe Johnson und Auszüge aus seinem Erstling Ingrid Babendererde.

Mit dem Roman hatten die Schüler zuvor schon im Deutschunterricht Bekanntschaft gemacht. Und auch die Studenten kamen nicht unvorbereitet. Sie hatten die Texte – Osterwasser, Ach! Sie sind ein Deutscher?, Ingrid Babendererde, Marthas Ferien und Jonas zum Beispiel – gründlich studiert und sich verschiedene Methoden für den schulischen Umgang mit ihnen zurechtgelegt. In sechs Arbeitsgruppen stellten sie den Schülern Themen und Figuren vor, und machten erste Angebote, womit man sich in den nächsten Tagen beschäftigen könnte. Den Schülern fiel die Wahl nicht leicht. Dennoch entschieden sie sich schnell, mit welchem Text sie weiter arbeiten wollten. Die Zeit war knapp: Innerhalb von anderthalb Tagen sollten Präsentation entstehen, die einem Publikum die verschiedenen Texte näher bringen.

In fünf Gruppen wurden also an fünf Texten Erzählperspektiven, Motivketten und auch Stilblüten genauer betrachtet. Die größte Aufmerksamkeit galt in jedem Fall den Geschichten und den Figuren, die sie bevölkern. Die Schüler gaben sich viel Mühe, eine geeignete Form zu finden, um ihre Beobachtungen für das Publikum sichtbar zu machen. An Ideen dazu fehlte es nicht: Vom Hörspiel über Kurzfilm bis zu szenischem Spiel mit Schattenwandlesung war alles vertreten. Es wurden Figurenreden geschrieben und eingesprochen, Szenen entworfen und Drehorte gesucht. Die Schüler waren erfinderisch: Sie verwandelten den Reriker Strand in eine spanische Sommer-Idylle. Aus dem blitzblanken Speisesaal wurde eine staubige Aula mit Stalinbild. Eine Gruppe zeigte Uwe Johnson beim Schreiben und erfand Leser, die ihm dabei über die Schulter sahen, eine andere verlegte die Handlung der Geschichte aus den dreißiger Jahren in die Jetztzeit. Zwei Tage arbeiteten Schüler und Studenten intensiv zusammen und lernten dabei voneinander. Ein gemeinsamer Grillabend rundete das Programm ab. Bei der Gelegenheit konnten Eindrücke und Erfahrungen abseits des Klassenzimmers besprochen werden, und es war nicht nur von Johnson die Rede. Auch über die Vorteile von Schulen auf dem Lande tauschte man sich aus.

Am Samstagvormittag präsentierten die Gruppen dem neugierigen Publikum – Eltern, Lehrern, Mitschülern und eigens angereisten Neugierigen – ihre Ergebnisse. Die Besucher waren überrascht und zufrieden – und sie fragten eifrig nach. Das Lesen und Deuten hätte gleich weitergehen können. Passend dazu hatte der Landeskulturrat Mecklenburg-Vorpommern unterdessen seine Empfehlung für die Herausgabe eines Johnson-Lesebuchs bekanntgegeben. Dass man ein solches Lesebuch gut brauchen könne, war in Rerik keine Frage. Ein auf den Schulbedarf zugeschnittenes Johnson-Buch sei eine gute Grundlage für den Literarturunterricht und mache es auch entsprechenden Projekten mit Studenten einfacher. Beides zusammen sei, so befanden Schüler und künftige Lehrer, »die beste Möglichkeit, den Autor kennenzulernen«.