»Auf der Rückfahrt durch Plön wurden gezeigt das Schloß und die ehemaligen Kadettenanstalt: das ganz berühmte Internat!« Uwe Johnsons »Ingrid Babendererde« im Literaturunterricht Schleswig-Holsteins

Ein eher untypisches Bild bietet sich an diesem sonnigen Märzmorgen auf dem Schulgelände des Plöner Gymnasiums. Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus der zwölften Klasse geht schweigend über das Schulgelände zum Kleinen Plöner See, der unmittelbar an den Hof angrenzt. Es scheint als wollten sie Wasser holen. Eine andere Gruppe versucht sie von ihrem Unterfangen abzuhalten, sie wollen sie zum Lachen oder Reden zu bringen. Was zunächst wie ein etwas merkwürdiger Zeitvertreib für die Pause aussehen mag ist in Wirklichkeit Unterricht. Literaturunterricht über den Autor Uwe Johnson, ganz konkret zu seiner Erzählung Osterwasser. Und was die Jugendlichen dort unter Anleitung eines Rostocker Lehramtsstudenten tun ist genau das: Osterwasser holen.

Die Unterrichtseinheit fand im Rahmen eines dreitägigen Besuchs von Studierenden der Universität Rostock am Gymnasium Schloss Plön in Schleswig-Holstein statt. Vom 11. bis 13. März 2015 unterrichteten die Studierenden in den neunten und zwölften Jahrgangsstufen kurze Prosastücke von Uwe Johnson. Darüber hinaus fand eine Arbeitstagung über Uwe Johnsons Roman Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953 gemeinsam mit Deutschlehrer/innen aus ganz Schleswig-Holstein sowie Vertreter/innen des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein. Das IQSH ist für die Referendariats-Ausbildung und die Weiterbildungen für Lehrpersonen zuständig. Anlass für den Workshop war das Vorhaben, Johnsons Erstlingswerk zukünftig auch in Schleswig-Holstein als ein Abiturthema anzugeben.

Die Uwe Johnson-Gesellschaft war nicht zufällig auf Plön gekommen. Nicht nur, weil das Plöner Schloss, als ehemaliges Internat, in Johnsons Jahrestagen Erwähnung findet. Sondern vor allem, weil der langjährige Johnson-Forscher Rainer Paasch-Beeck als Lehrer für die Fächer Deutsch und Religion am Gymnasium Schloss Plön arbeitet. Dort unterrichtet er schon seit Jahren Johnson in seinen Klassen und begeistert nunmehr auch seine Kollegen/innen zunehmend für diesen Autor. Darunter auch Schulleiterin Frau Paulsen, die den Workshop in der Aula der Schule eröffnete.

Die Lehrer/innen und Referendare berieten in mehrere Gruppen gemeinsam mit den Vertretern des IQSH über
Einsatzmöglichkeiten des Romans im Schulunterricht und über eine sinnvolle Einbindung in die Abiturvorbereitungen. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der Verbindung zwischen dem Roman und Johnsons Zeit als Student in der noch jungen DDR. Auch die Klassik-Rezeption im Deutschunterricht der DDR Anfang der 1950er Jahre war ein Untersuchungsgegenstand. Die Teilnehmer verfolgten Vorträge zum Roman und diskutierten Materialsammlungen, die seine Interpretation erleichtern sollen.

Von der Idee eines Johnson-Lesebuchs für die Schule, wie es gerade in Mecklenburg-Vorpommern entsteht, waren die Workshop-Teilnehmer/innen sehr angetan. So etwas wünscht man sich auch für Schleswig-Holstein.

Schließlich konnten die Lehrer/innen mit zahlreichen Anregungen über den Einsatz von Ingrid Babendererde im Schulunterricht an ihre Schulen zurückkehren und auch das IQSH weiß nun näher, wie es die Lehrpersonen im Land auf diesen Stoff vorbereiten kann. Vor allem aber kamen die Rostocker Gäste mit vielen neuen Ideen zurück. Es war das erste Mal, dass ein solcher Workshop in einem alten Bundesland stattfand. Die Anmerkungen der dortigen Kollegen/innen ermöglichten neue Perspektiven auf den Text und auch das Arbeitsmaterial dazu. Denn der Roman, in dessen Zentrum der Konflikt der DDR-Regierung mit der christlichen Jungen Gemeinde Anfang der 1950er Jahre steht, muss für die alten Bundesländer anders aufbereitet werden als beispielsweise für Schulen in Mecklenburg-Vorpommern.

Parallel zu dem Arbeitstreffen gestalteten die Rostocker Studierenden an zwei Tagen Unterrichtseinheiten über Erzählungen von Uwe Johnson. Dabei erprobten sie auch einige Aufgaben aus dem Johnson-Lesebuch. Die Texte ergründeten sie mit den Schüler/innen auf ganz unterschiedliche Weise. Der Bogen spannte sich vom klassischen kreativen Schreiben und szenischem Spiel für den Text Ach! Sie sind ein Deutscher?! bis hin zur Szene am See des Schulgeländes, wo die Jugendlichen ihr eigenes Osterwasser holen sollten, um sich die Erlebnisse, von denen in Osterwasser erzählt wird, zu vergegenwärtigen. Die Schüler/innen haben bewiesen, dass sie etwas anfangen können mit Johnsons Texten. Der nächste Schritt, nämlich einen Roman des Autors im Unterricht zu behandeln, ist naheliegend und realistisch.

Rainer Paasch-Beeck führte unterdessen den Gästen aus Rostock vor, dass man Johnson schon den „Kleinen“ näher bringen kann: In seiner sechsten Klasse behandelte er Johnsons Übersetzung des Märchens Von dem Fischer und seiner Frau.

Die Tage am Gymnasium Schloss Plön haben einmal mehr gezeigt, dass die Verbindung zwischen universitärer Lehramtsausbildung und schulischer Praxis  sinnvoll und gewünscht ist, und dass nicht nur in M-V. Alle Seiten haben von dem Austausch profitiert. Uwe Johnsons Werk auch an den Schulen über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen, ist eines der Ziele der Uwe Johnson-Gesellschaft. Neben Schleswig-Holstein gibt es vermehrt Interesse aus Niedersachsen, Berlin und Bayern. Es besteht sogar ein anregender Austausch mit Kolleg/innen aus der Schweiz. Zukünftig sollen auch dort Fortbildungen, Workshops und Arbeitstagungen stattfinden.

In Plön geht derweil der Schulalltag weiter. Die Abiturprüfungen stehen an, genau wie in Ingrid Babendererde. Die Rostocker Gäste machen sich dankbar und inspiriert auf den Heimweg mit einem Versprechen: Wiederzukommen.

 


Zitat im Titel entnommen aus: JT, S. 1249.