Dr. Paul Onasch

Biblische Diskurse im Prosawerk Uwe Johnsons

 

In einem Interview aus dem Jahre 1969 bekundete Uwe Johnson, dass er keine religiösen Bindungen habe und aus der Kirche ausgetreten sei. Voraus ging dieser Loslösung allerdings eine religiöse Sozialisation in der eigenen Familie und im Konfirmandenunterricht, in dem er laut eines Mitschülers derjenige war, der »am besten in der Bibel Bescheid« wusste.

Dass es für einen produktiven Umgang mit der Bibel religiöser Bindungen nicht bedarf, haben vor Johnson bereits Autoren wie Goethe oder Brecht gezeigt. Wie bei ihnen finden sich im literarischen Werk Johnsons zahlreiche Referenzen auf die Heilige Schrift.

Bereits in seinem ersten Roman Ingrid Babendererde bilden die Auseinandersetzungen um die Junge Gemeinde ein zentrales Motiv, das durch biblische Verweise auf die Sintfluterzählung, die christliche Nächstenliebe und das Pfingstwunder in besonderer Weise konnotiert wird.

Form und Frequenz biblischer Referenzen unterscheiden sich in den folgenden literarischen Werken Mutmassungen über Jakob, Das dritte Buch über Achim, Karsch, und andere Prosa sowie Zwei Ansichten und finden ihren Höhepunkt in den Jahrestagen sowie dem Fragment gebliebenen Heute Neunzig Jahr. Durch eine Vielzahl biblischer Zitate und Anspielungen werden zahlreiche Diskurse konstituiert und ein außergewöhnlicher Blickwinkel auf Johnsons literarische Auseinandersetzung mit mehr als fünfzig Jahren deutscher, europäischer und US-amerikanischer Geschichte ermöglicht.

Wissenschaftliche Auseinandersetzungen zur Bibelrezeption im Werk Uwe Johnson haben in den vergangenen Jahren zwar zusehends an Gewicht gewonnen, doch liegen bislang nur Analysen zu einzelnen Werken vor. Zudem beschränken sich die vorliegenden Arbeiten auf ausgewählte Aspekte biblischer Verweise, wohingegen eine systematische Gesamtschau bislang zu keinem Werk vorliegt.

Ziel meiner Dissertation war es daher, Johnsons produktiven Umgang mit der Bibel in Form einer systematischen Gesamtschau monografisch aufzuarbeiten, um so verlässliche Aussagen über Umfang, Formen und Funktionen von Verweisen auf die Heilige Schrift im Prosawerk Johnson treffen zu können. Auf der Grundlage dieses Gesamtüberblicks wurde in einem quasi prototypischen Verfahren analysiert, in welcher Form biblische Referenzen eigene Diskursfelder eröffnen bzw. bestehende Diskurse in einzelnen Werken und über Werkgrenzen hinaus erweitern.

Zudem wurde der Frage nachgegangen, was durch den Bezug auf die Heilige Schrift gewährleistet wird, durch den Verweis auf andere Intertexte aber nicht geleistet werden kann. Darüber hinaus wurden theoretische Überlegungen sowie Typologien zur Intertextualitätsforschung in ihrer Anwendbarkeit auf einen modernen Autor wie Uwe Johnson und in ihrer Funktionalität in Verbindung mit der Konstitution von Diskursfeldern überprüft.

Die Dissertation ist unter dem Titel Hat Gott gar nichts mit zu tun. Eine diskursive Ordnung biblischer Intertexte in den Romanen Uwe Johnsons als Band 14 der Johnson-Studien bei V&R unipress 2020 erschienen.