Martin Fietze

»Kinder nehmen Regen mit auf die Reise«.
Reise(n) als Handlung, Thema und Motiv im Erzählwerk Uwe Johnsons


Viele der Figuren Uwe Johnsons sind fast permanent in Bewegung und mit unterschiedlichen Transportmitteln in verschiedenen (Kultur-)Räumen unterwegs. Sie teilen mit ihrem Autor oft die biografische Erfahrung von Entwurzelung und Migration infolge politischer Umstände. Nicht nur in seinem literarischen Werk, sondern auch in Briefen und Reiseberichten reflektierte Johnson das abstrakte Modell vom Auszug aus der Heimat in die Fremde anhand von konkreten biografischen und zeitgeschichtlichen Erfahrungen und Ereignissen. In meinem Dissertationsvorhaben untersuche ich deshalb das literarische Phänomen Reise(n) als Handlung, Motiv und Thema im Erzählwerk Uwe Johnsons unter Einbezug der Bestände des Uwe Johnson-Archivs. In einer dicht am Text geführten Analyse wird zwischen der kulturgeschichtlichen bzw. kulturwissenschaftlichen Auslegung des Reisephänomens, die die Alteritätserfahrung des Reisesubjekts (Stichworte: Fremde, Heimat, Interkulturalität) ins Zentrum rückt, und der literaturgeschichtlichen bzw. literaturwissenschaftlichen Erzähltradition (Stichworte: Raumsemantik, Lebensreise als Thema und Motiv, Gattungstheorie) vermittelt, um die autorspezifische Ausgestaltung der Thematik herauszuarbeiten. Dabei wird sowohl die narrative Vermittlung von Bewegung in den Blick genommen als auch das in den Texten enthaltene kulturelle Wissen offengelegt. Der Gang ins Uwe Johnson-Archiv soll helfen, (reise-)literarisches und biografisches Quellenmaterial zu identifizieren, um es für die Textinterpretation heranzuziehen. Die systematische Analyse integriert dabei nicht nur neuere Perspektiven der Johnson-Forschung und bezieht diese auf das Gesamtwerk des Autors, sondern leistet auch einen Beitrag zur Themen- und Motivgeschichte in Bezug auf die Reise- und Migrationserfahrung in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts.