Burkhart Veigel zu Gast in Rostock
Thalia Universitätsbuchhandlung (Breite Str. 15-17 | 18055 Rostock) / CJD Christophorusschule (Groß Schwaßer Weg 11 | 18057 Rostock)
»Es war einfach notwendig, etwas zu tun.« Fast lapidar mutet Dr. Burkhart Veigels Begründung an, warum er zehn Jahre lang Flüchtlingen aus der DDR in die Bundesrepublik half.
Bereits zum zweiten Mal besuchte Veigel die Hansestadt Rostock auf Einladung der Uwe Johnson-Gesellschaft. Erneut war Fluchthilfe sein Thema. Veigel, der auch an der Flucht von Uwe Johnsons späterer Ehefrau, Elisabeth Schmidt, beteiligt war, gab vor zwei Jahren die von Johnson geführten Interviews mit Fluchthelfern heraus. Für sein aktuelles Buch, Wege durch die Mauer. Fluchthilfe und Stasi zwischen Ost und West, hat er insgesamt fünfzehn Jahre recherchiert. Am Abend des 19. Aprils stellte er es in der Universitätsbuchhandlung Thalia vor. Veigel erzählte, wie er zum Fluchthelfer wurde, mit welchen Methoden er vorging und welche Gefahren seine Arbeit barg.
Von 1961 bis 1970 war Veigel als Fluchthelfer tätig. Vom Bau der Mauer überrascht, ging es ihm zunächst darum, dass seine Kommilitonen, die im Osten Berlins wohnten, weiter die Universität im Westteil der Stadt besuchen konnten. Er schloss sich dem »Unternehmen Reisebüro« um Detlef Girrmann an, später agierte er mit einer eigenen Fluchthelfergruppe. Es entwickelte sich ein Katz und Maus-Spiel mit Grenzpolizei und Stasi. Veigel fälschte Pässe, deren hohe Qualität, wie er durch spätere Akteneinsicht erfuhr, selbst die Stasi anerkannte. Intensiv bereitete er jeden einzelnen Flüchtling vor, »Impfen« nannte er das, damit jeder an der Grenze wusste, wie er sich – etwa als Schwedischer Staatsbürger, der kein Wort Schwedisch sprach – zu verhalten habe. Ein anderer Trick war ein präparierter Cadillac, bei dem sich ein Mensch zwischen Armaturenbrett und Motor verstecken konnte. Seine Methoden waren erfolgreich, wurden sie aufgedeckt, so geschah das nicht durch Nachlässigkeit der Fluchthelfer, sondern stets durch Verrat. Hier gesteht Veigel sich auch eine gewisse Naivität ein, denn er konnte sich damals einfach nicht vorstellen, dass etwa auch Bürger der BRD Spitzel der Stasi sein konnten. Insgesamt verhalf er über 600 Menschen zur Flucht in den Westen. Hiervon erzählt sein Buch, aber nicht nur. Veigel möchte über die Fluchthilfe als Ganzes berichten, seine Geschichte ist ein Teil davon.
Während seiner langen Recherchen studierte er unzählige Akten, führte mehr als hundert Interviews mit Betroffenen und Beteiligten. Gern hätte er auch mit der anderen Seite, den Informanten und Stasi-Mitarbeitern, gesprochen – keiner war dazu bereit. So verwendet Veigel in seinem Buch nun überwiegend Klarnamen, selten Abkürzungen, um damit einerseits die historischen Fakten zu zeigen und andererseits zu Auseinandersetzung und Dialog aufzufordern.
Gespannt lauschten die Gäste in der Thalia-Buchhandlung seinen Ausführungen und Anekdoten. So etwa auch jener Episode, in der drei Flüchtlinge durch die Berliner Kanalisation zu entkommen versuchen. Sie wollen unter einem Gitter durch die Kloake rutschen und stehen plötzlich vor einer Mauer, die am Tag zuvor dort noch nicht war. Sie beginnen den noch feuchten Mörtel aus den Fugen zu kratzen, zwei Meter über ihnen das Scheinwerferlicht und die Schritte der Grenzer.
Mindestens gleichermaßen gespannt verfolgten am folgenden Vormittag gut hundert Schüler der Rostocker CJD Christophorusschule Veigels Ausführungen. Sie alle kennen die DDR nur aus dem Geschichtsunterricht und von Erzählungen ihrer Eltern, umso mehr Fragen hatten sie an den Zeitzeugen und Chronisten. Ob er Angst gehabt habe oder noch Kontakt zu ehemaligen Flüchtlingen? Beileibe nicht alle Fragen konnte Burkhart Veigel vor Ablauf der zwei Schulstunden beantworten und so hoffen wir, dass er Rostock bald wieder einmal besuchen wird.
Für alle, die sich gern selbst ein Bild machen wollen, hat Burkhart Veigel eine Seite im Internet eingerichtet: www.fluchthilfe.de